HOME
ART INFO HEFT
AKTUELL
ART INFO EDITION
VERLAG



AUSSTELLUNGEN
KUNSTBUCH
KUNSTRAETSEL

Fotorealistische Malerei. Die Arbeiten von Andreas Gursky

gursky1

gursky2

Selten war die Beschreibung „fotorealistische Malerei“ treffender als für die Fotografien von Andreas Gursky. Gursky hat einen äußerst kreativen Umgang mit der Realität. Der Künstler bearbeitet seine Fotografien digital und setzt seine Abbildungen teilweise aus vielen Einzelfotografien zusammen. Er komprimiert gewissermaßen die Realität, gestaltet sie und vervollkommnet sie in künstlerischer Hinsicht. Das Ausgangsmotiv seiner Arbeit „Mayday V“ (2006, 323x218cm) beispielsweise ist die Dortmunder Westfalenhalle, die jedoch in der Fassung des Künstlers 18 statt der tatsächlich nur 4 Stockwerke aufweist. In den Arbeiten „F1 Boxenstop I und II“ (jeweils 2007, 188x507 cm) ist erst auf den zweiten Blick ein sog. Boxenluder zu erkennen, welches gesondert gecastet, aufgenommen und in die Arbeiten eingesetzt wurde. Gurskys Arbeiten sind keine Momentaufnahmen, sondern komponierte Landschaften, denen jedoch ein zentrales Motiv fehlt. Die Fotografien wirken als solche nicht erzählerisch, schöpfen ihre Spannung vielmehr aus der Detailfülle. Diese Details schaffen es für sich, eine Geschichte zu erzählen.... in der Arbeit „Monaco“ (2006, 307x224,5) zieht während eines Formel 1 Rennens hinter der Zuschauertribüne ein einsamer Schwimmer seine Runden. Aus der Ferne wirken viele seiner Arbeiten fast abstrakt, erst im Detail erschließt sich dem Betrachter der gesamte Bildkosmos. Die Arbeiten Gurskys beinhalten so mehrere Wahrheiten, da sich die Bildwahrnehmung mit der Entfernung des Betrachters zum Bild ändert. Menschen spielen höchstens eine Nebenrolle, wie beispielsweise der Schwimmer in der Arbeit „Monaco“ oder auch die unzähligen Korbflechterinnen in der Arbeit „Nha Trang“ (2004, 295,5 x 207 cm). Die Themen im Werk von Gursky sind vielfältig, zwei Schwerpunkte sind aber bezeichnenderweise die Vereinsamung des Menschen in der Masse sowie Landschaften, bei denen er in beinahe kubistischer Manier geometrische Grundformen betont.

Der 52-jährige Düsseldorfer ist der Superstar der Fotografie. Der Meisterschüler von Bernd und Hilla Becher fertigt höchstens zehn Arbeiten im Jahr an, die in einer Auflage von jeweils sechs Abzügen verkauft werden. Diese Verknappung hinterlässt deutliche Spuren. Seine Arbeiten sind bei Museen und Sammlern heißbegehrt und die Arbeiten erzielen bei Auktionen Höchstpreise. Im Februar 2007 ging die Fotografie „99 Cent II Diptychon“ mit 3,3 Mio. US Dollar an einen unbekannten Bieter und ist damit die teuerste zeitgenössische Fotografie aller Zeiten. Während Gursky international ein Star ist, wird er in Deutschland erst langsam einem breiteren Publikum bekannt. Das Museum of Modern Art in New York organisierte bereits 2001 eine große Bilder-Show des Künstlers, hierzulande fehlten jedoch bisher die Ausstellungen in namhaften Häusern. Die Retrospektive im Münchner „Haus der Kunst“ im Frühjahr 2007 sowie die noch bis zum 24.02.08 im Baseler Kunstmuseum zu sehende Ausstellung versprechen Abhilfe. Zu beiden Ausstellungen sind beachtenswerte Kataloge erschienen, die jeweils einen umfassenden Überblick über die wichtigsten Arbeiten des Künstlers geben. Der etwas umfangreichere Katalog der Münchner Ausstellung erschien im Snoeck Verlag, der Katalog zur aktuellen Ausstellung im Hatje Cantz Verlag.

Andreas Gursky
Hrsg. Thomas Weski, 160 S. mit 60 ganzseitigen farb. Abb., geb. 68,00 Euro, Snoeck Verlag


Andreas Gursky
Hrsg. Kunstmuseum Basel, 128 S. mit 83 Abb., geb. 39,80 Euro, HatjeCantz Verlag

Stuttgart - Lichter einer Großstadt

stuttgart

Über die Frage, ob Stuttgart nun eine Großstadt ist oder nur eine große Stadt, kann man sich trefflich streiten. Eine Antwort findet man in dem Buch von Jürgen Pollack jedenfalls nicht oder allenfalls indirekt. Der 1964 in Stuttgart geborene Jürgen Pollack zeigt in seinem Buch „Stuttgart - Bilder einer Großstadt“ Fotografien einer Stadt, die in den Bildern gar nicht so fürchterlich groß aussieht. Ungewohnte Bilder sind es, selbst für Menschen die in dieser Stadt zuhause sind. Kein Mensch, nirgendwo. Die Bilder sind tief in der Nacht aufgenommen und durch die (Menschen)Leere so ungewohnt, dass man für deren Ortbestimmung mitunter etwas länger braucht. Aber gerade diese Leere ist es, die es dem Betrachter ermöglicht, die Konzentration auf Details zu lenken, die man im hektischen Alltag meistens nicht wahrnimmt. Der Fotograf nimmt den Betrachter in dem Buch auf insgesamt 40 Bildern mit auf einen ungewöhnlichen Stadtrundgang - Planie, Schlossgarten mit Opernhaus, Leonhardsviertel und Marienplatz - alleine die vollkommen menschen- und autoleeren Bilder von Heilbronner Straße und Pragsattel sind jedem Rushhour geplagten Autofahrer einen zweiten, sehnsüchtigen Blick wert. Die Bilder helfen, im Kopf abgespeicherte Bilder zu hinterfragen und ermöglichen einen Spaziergang durch eine Stadt, die man möglicherweise doch nicht so gut kennt, wie man glaubt.

Schöne Nachtbilder sind dem Stuttgarter Fotografen gelungen, ohne dass sie sentimental zu werden drohen. Eine spezielle Technik ermöglicht es, dass die Bilder trotz der Dunkelheit bis auf den letzten Winkel ausgeleuchtet sind. „High Dynamik Range“ nennt Jürgen Pollack das Verfahren, bei dem das Foto - vereinfacht gesagt - aus zwei oder mehr unterschiedlich belichteten Fotos zusammengesetzt wird. Dabei wird aus jedem Bild die optimale Belichtung herausgesucht und zu einem Ganzen zusammengesetzt. Etwas künstlich oder zumindest entrückt wirken die Bilder so, unterstreichen aber gerade dadurch das Fremde und die Aufforderung an den Betrachter, sich einzufinden in die Stadtsituation. Bei dem im Dezember letzten Jahres erschienen zweiten Band von Jürgen Pollack muss man sich die Frage, ob Großstadt oder große Stadt, nicht stellen: „Berlin - Lichter einer Großstadt“... sicherlich verändert aber auch dieses Buch den Blick auf eine vermeintlich bekannte Stadt.

Stuttgart - Lichter einer Großstadt
ürgen Pollack, Neuer Kunstverlag, Stuttgart, geb., ca. 92 Seiten, 40 farbige, ganzseitige Abb., 34.90 Euro, ISBN 978-3-938023-24-2

Made in Germany

made in germany

Die aktuelle Kunst aus Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren zu den Leitwölfen der internationalen Szene gesellt. Entsprechend selbstbewusst tritt der Katalog 'Made in Germany' der gleichnamigen Sommerausstellung in Hannover - die gleich die Räume der Kestnergesellschaft, des Kunstvereins und des Sprengelmuseums bespielte - an die Seite. Auf den ersten Blick ist allerdings das Werbelabel zu weit gefasst: mehr als zwei Drittel der erwähnten jungen Künstler aus rund 15 Nationen leben in der Bundeshauptstadt, so dass die hiesige Kunst eher „made in Berlin“ zu sein scheint. Aber wenn nun einmal der Bär dort tanzt, lässt sich immerhin behaupten, dass zumindest von dieser Perspektive aus die eben noch fröhliche Urständ' feiernde Malerei vor allem von der installationsnahen Plastik und der Archiskulptur verdrängt worden ist, die mit Peggy Buth, Andreas Hofer, Sabine Hornig, Jonathan Monk oder Daniel Roth auch erstklassig besetzt sind. Da die Gestaltung des Buches in den Händen der innovativen Stuttgarter Spezialisten der Medienkommunikation L2M3 lag, gewinnt das etwas trendige Ausstellungskonzept eine genauso rasante wie in sich stimmige Nachhaltigkeit im Druckformat. Auch relativiert sich der Eindruck hinsichtlich des Aktualitätswahns - denn so schnell schießen die Preußen bekanntlich nicht: Maler wie Sergej Jensen, Zeichner wie Fernando Bryce und selbst Filmkünstler wie Julian Rosefeldt bezeugen den unverwüstlichen Bestand auch der bewährten Künste. (gb)

Made in Germany
Martin Engler (u. a.), Ostfildern, Hatje Cantz, 2007, 342 Seiten,
ISBN 978-3-7757-1985-8

New German Painting / Neue Deutsche Malerei

german paintin

Nach der Ausstellung „Made in Germany“ in Hannover und der 12. „Documenta“ konnte man fast zu der Überzeugung gelangen, dass die Malerei in der zeitgenössischen Kunst allenfalls eine untergeordnete Rolle spielt. Die Messe Artforum in Berlin samt ihrer drei sehenswerten Begleitmessen hat allerdings jüngst das Gegenteil bewiesen. Auch die ganz junge Kunst beschäftigt sich mit der Malerei und es entstehen dabei äußerst spannende Positionen. Das von Christoph Tannert herausgegebene Buch 'Neue Deutsche Malerei' aus dem Prestel Verlag untermalt dies eindruckvoll. Der Band beschäftigt sich eingehend mit der Jungen Deutschen Malerei und stellt insgesamt 31 KünstlerInnen vor. Die Künstler sind entweder bereits etabliert oder haben ein Entwicklungspotential. So beschäftigt sich das Buch unter den bereits arrivierten Künstlern neben Jonathan Meese auch mit Tim Eitel und Martin Weischer, letztere Vertreter der sog. Jungen Leipziger Schule. Unter den eher unbekannten Künstler findet sich beispielsweise Antje Majewski. Jeweils sechs Seiten pro Künstler versprechen eine eingehende Beschäftigung mit ihrer Kunst, zahlreiche Abbildungen erlauben überdies ein entspanntes durchblättern des Buches: Es eignet sich somit als „Bilderbuch“ ebenso wie als Nachschlagewerk für die zeitgenössische Malerei in Deutschland und ermöglicht die eine oder andere interessante Entdeckung.

New German Painting
dt./engl., 256 Seiten, 210 farbige, 30 s/w Abb., 49,96 Euro, ISBN 978-3-7913-3666-4

Hommage an Ernst und Hildy Beyeler

beyeler

Die aktuelle Kunst aus Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren zu den Leitwölfen der internationalen Szene gesellt. Entsprechend selbstbewusst tritt der Katalog 'Made in Germany' der gleichnamigen Sommerausstellung in Hannover - die gleich die Räume der Kestnergesellschaft, des Kunstvereins und des Sprengelmuseums bespielte - an die Seite. Auf den ersten Blick ist allerdings das Werbelabel zu weit gefasst: mehr als zwei Drittel der erwähnten jungen Künstler aus rund 15 Nationen leben in der Bundeshauptstadt, so dass die hiesige Kunst eher „made in Berlin“ zu sein scheint. Aber wenn nun einmal der Bär dort tanzt, lässt sich immerhin behaupten, dass zumindest von dieser Perspektive aus die eben noch fröhliche Urständ' feiernde Malerei vor allem von der installationsnahen Plastik und der Archiskulptur verdrängt worden ist, die mit Peggy Buth, Andreas Hofer, Sabine Hornig, Jonathan Monk oder Daniel Roth auch erstklassig besetzt sind. Da die Gestaltung des Buches in den Händen der innovativen Stuttgarter Spezialisten der Medienkommunikation L2M3 lag, gewinnt das etwas trendige Ausstellungskonzept eine genauso rasante wie in sich stimmige Nachhaltigkeit im Druckformat. Auch relativiert sich der Eindruck hinsichtlich des Aktualitätswahns - denn so schnell schießen die Preußen bekanntlich nicht: Maler wie Sergej Jensen, Zeichner wie Fernando Bryce und selbst Filmkünstler wie Julian Rosefeldt bezeugen den unverwüstlichen Bestand auch der bewährten Künste. (gb)

Die andere Sammlung - Hommage an Ernst und Hildy Beyeler
288 S. mit zahlreichen, z.T. farbigen Abbildungen, HatjeCantz Verlag, 49,80 Euro, ISBN 978-3-7757-2022-9


Ernst Beyeler - Leidenschaftlich für die Kunst
Gespräche mit Christophe Mory,160 S., Verlag Scheidegger & Spieß, 25,00 Euro, ISBN 978-3-85881-171-4

Oil



Gerade mal 25 Besucher bekommen gleichzeitig Zugang zum deutschen Pavillon der Biennale, wo sie eine Installation von Isa Genzken erwartet. Da ist der Stau vorprogrammiert, denn bereits in den ersten Tagen der venezianischen Mammutschau sorgte dieser Beitrag für enormen Diskussionsstoff. Die 58-Jährige, die sich vorsorglich schon von ihrem Kollegen Wolfgang Tillmans hat fotografieren lassen, damit man die bisher eher unauffällige Künstlerin auch ja in der Öffentlichkeit erkennen möge, dürfte damit in die erste Liga der Gegenwartskunst aufgestiegen sein - ihr Bild ging schon mal um die Welt. Gleiches wünscht man dem bei DuMont erschienenen Katalog, der offiziellen Publikation für den deutschen Länderbeitrag. Denn er ist nicht nur eine Augenweide: ein kommentarloses Entree von 150 Seiten stimmt optisch auf das Werk ein, sondern ermöglicht auch den happy few, die jeweils das Original in Augenschein nehmen durften auch eine opulente Nachbetrachtung: es wird kaum möglich sein, all die Details im schnellen Durchlauf wirklich wahrzunehmen.

Das von dem diesjährigen Kurator Nicolaus Schafhausen herausgegebene Buch vermittelt zudem etwas von dem Erlebniswert der Kunst durch die sehr kluge Bildführung, die mit einem vergitterten Blick auf Della Robbias Madonnenrelief beginnt und mit der allgegenwärtigen Reproduktion der Mona Lisa unter animalischem Erinnerungskitsch endet. Dazwischen entfaltet sich eine Welt der Assoziationsvielfalt, die einen steten Wechsel von Fiktion und Realitätswahrnehmung provoziert. Ein orangefarbenes Absperrnetz verwandelt den teutonischen Protzbau in eine fingierte Baustelle, welche die Entstehungsgeschichte des Nazi-Baus kaschiert und gerade dadurch zum kritisch hinterfragten Objekt macht. Das Anliegen ist nicht neu; schon Hans Haacke lenkte den Blick auf die Architektur, indem er 1993 ihren Fußboden zertrümmerte. Was damals jedoch schon das eigentliche Werk ausmachte, ist für Genzken nur das Gehäuse, der spröde, aber nicht unpoetische Übergang in einen Illusionsraum.

In einem Wechsel von Weitblick und Totalen, von großzügig gestreuten Leerseiten strukturiert oder besser: rhythmisiert, zeigt der Katalog einen möglichen Weg durch die Objektschau. Kaum gaukeln uns die Trollys, Koffer und Taschen die Realsituation einer Bahnhofhalle vor, da irritiert schon der Blick auf Astronauten, die von der Decke hängen, wie die von Stoffaffen zum Turngerät abgestempelte Galgenstricke auch, auf ausgestopfte Tiere und religionskultige Totenköpfe sowie auf venezianische Maskerade, multipliziert durch Spiegel, die den realen Raum wieder in spätbarocker Lust ins Kunstvolle zurückverweisen. Die kahlen Wände lassen sogar ahnen, dass Isa Genzken ihre künstlerischen Wurzeln in der Minimal Art hat.

Was die Bildstrecke nicht schafft, darüber geben die Anhangtexte des Katalogs Aufschluss: Der Titel 'Oil' steht scheinbar kontextfrei im Raum. Doch macht gerade diese Bezeichnung das Installationsbild zum Gesamtkunstwerk: 'Den Titel finde ich gut', freut sich die Künstlerin im Interview mit Schafhausen, 'denn das ist es, worum es auf der ganzen Welt geht. Ob Krieg, ob nicht, darum geht’s. Um Energie und um Öl.' Und die Astronauten? Die könnten für die hochfliegenden Ideen und überhaupt die Gedankenwelt stehen, die losgelöst von den Zwängen der Realität reichlich utopisches Potenzial enthalten, das sich in unzähligen Einzelfiguren konkretisiert: Matrjuschkas und Minidrache, Reisefotos und Allerweltsschnappschüsse, Schlüssel und Gitarre, Notenständer, Wasserpfeife, Maske und Schädel. Dies erinnerungsfähig zu halten, schickt sich der Katalog an, denn die gezeigte Kunst - das versinnbildlichen die Koffer eindrucksvoll - ist vergänglich, oder zeitgemäßer formuliert: auf dem Sprung. (gb)

Isa Genzken. Oil.
Hrsg. von Nicolaus Schafhausen. Dt./Niederl. Köln: DuMont, 2007. 212 Seiten. ISBN 979-3-8321-7795-9

Fragmente zur Melancholie



In einer längst untergegangenen Epoche saßen vier Menschen in der Wüste, im Hintergrund auf der leicht vergilbt erscheinenden Schwarz-weiß Fotografie sind die Pyramiden von Dahshoor zu sehen - nichts besonderes und wenn nicht irgend jemand von der Szene ein Foto gemacht hatte, wäre es ein genauso vergänglicher Moment gewesen, wie es sie tagtäglich Ungezählte gibt - und das Auge will weiter hasten zum nächsten Foto dieses ruhigen und sehr sehenswerten Bildbands ... und doch, es bleibt schließlich an der Jahreszahl hängen ... 1857. 1857? Die Gedanken schweifen ab: was machen die Menschen da, warum sitzen sie im Kreis, scheinen zu reden, einer hat den Arm aufgestützt, im Hintergrund ist noch ein Pferd oder ein Esel zu erkennen. Touristen werden es vermutlich nicht sein: es gab weder die Lufthansa noch Flugzeuge überhaupt. Die Abgebildeten im Sand sind bereits vor einer halben Ewigkeit gestorben und andere Zeitzeugen wie Kinder oder Kindeskinder waren bereits tot, als man selbst noch nicht an das Leben dachte.

Über 100 Bilder aus einer lange untergegangenen Epoche sind nun in der Kunsthalle Tübingen zu sehen. Sie gehören allesamt zu der Sammlung von Céline und Heiner Bastian, letzterer bis vor kurzem noch Kurator des Hamburger Bahnhofs in Berlin. Verglichen mit den Fotos der Fotografenstars wie Andreas Gursky haben die Bilder nur die enormen Preise gemein, können sie doch durchaus bis zu 200.000 Euro kosten. Motivisch sind die Bilder eher unspektakulär und doch offenbaren sie Kompositionen und Arrangements, wie sie sica?h in Ansätzen in der einen oder anderen heutigen Fotografie wiederfinden lassen. Es ist der antik anmutende Braunton, der die Bilder zum sprechen bringt und es sind auch die Jahreszahlen, die einl?en veranlassen, sich auf die Bilder einzulassen. Seltsam ruhige, vollkommen unaufgeregte Fotos, allesamt aus den Jahren 1842 bis 1896 stammend. Viele orientalische Motive sind dabei und erstaunlich wenig Menschen sind zu sehen - Ausdruck dessen, dass die Landschaft und die Architektur noch wichtiger waren als das Individuum. Man wird Betrachter einer längst untergegangenen Welt und man beginnt sich zu fragen, wie es damals war... war es besser... oder schlechter...? ... oder einfach nur anders?

Fragmente zur Melancholie - Bilder aus dem ersten Jahrhundert der Fotografie
Das gleichnamige Buch zur Ausstellung "Fragmente der Melancholie - Bilder aus dem ersten Jahrhundert der Fotografie" ist herausgegeben von Heiner Bastian, ist im Hatje Cantz Verlag erschienen und kostet 39,80 Euro; ISBN 3-7757-1903-2

Stuttgarter Skulpturen



Es gab Zeiten, da musste man den Stuttgartern die Kunst schon in den Weg stellen, damit sie wahrgenommen wird – und im Guten ging das selten aus, denkt man an Alexanders Calders »Mobile« auf dem Schlossplatz – eigentlich »Crinkly avec disque rouge« geheißen – oder an Henry Moores »Draped Reclining Woman«, die als »Liegende« nach einer halben Odyssee ihren würdigen Platz vor Stirlings Staatsgalerie gefunden hat. Kaum vorstellbar, dass Calders himmelstürmendes Objekt bunter, tanzender Scheiben die kostenbewusste Schwabenseele nach seiner Aufstellung 1979 zum Kochen brachte – im frischen Anstrich reckt sich das Mobile heute stolzer und strahlender denn je in die Höhe als Vorposten des neuen Kunstmuseums. Und schamvoll erinnert man sich an das Geschrei über den kleinen Kopf von Moores Bronzefigur, die 1961 vor dem eben eingeweihten Landtagsgebäude aufgestellt wurde und nach Protesten 1969 im Abseits des Kunstgebäudes ein erbärmliches Schattendasein fristete, bis sie 1984 als Meilenstein der Moderne ins Bewusstsein zurückkehrte.

Heute gehen die Stuttgarter großherziger mit der Kunst in ihrem öffentlichen Raum um. Gelegentlich entgeht sie einem denkbaren Zorn auch nur deshalb, weil sie kaum als Kunst gesehen wird: Joseph Kosuths »Beschriebene Maßnahme (eine Widmung)« etwa, ein Neonzitat des Stuttgarter Philosophen G.W.F. Hegel über dem Eingang des Hauptbahnhofs, oder Per Kirkebys titelloser Ziegelsteinturm vor dem Haus der Abgeordneten, der vorschnell der Architektur zugeschlagen wird (vgl. »art info« 2 und 5, 2005). Damit auch diese Kunst am Bau wie überhaupt die rund 150 Arbeiten im innerstädtischen Bereich auch im Alltagsgedächtnis ankommen, hat Bärbel Küster zusammen mit einer Projektgruppe der Universität einen Skulpturenführer vorgelegt, der erstmals neben einem – leider nur über drei Kartenlisten erschließbaren – Gesamtverzeichnis eine Auswahl von knapp 50 Plastiken detailliert vorstellt.

Dabei sind – neben Herman de Vries, Jeanette Zippel u.a. – wunderbare Entdeckungen zu machen, die selbst dem kunstsinnigsten Stadtwanderer entgehen können wie Micha Ullmans »Abendstern«, der seit zehn Jahren als minigolflochgroße Auskerbung in einer Bodenplatte mitten in Stuttgart ein stilles Zeichen für den Widerstand gegen Hitler setzt. Löblich ist es auch, dass abgelegene Arbeiten wie die 216 Aluminiumkästen von Karin Sander im Foyer der Vaihinger Universität eine Würdigung finden, die die Grenzen der Skulptur überschreiten (ob allerdings Vorzimmerkleinplastiken vor Direktorstuben, und seien sie von Ernst Barlach, noch ins Thema gehören, ist fraglich).

Schmerzhaft wird uns zudem – auch das ein Verdienst – bewusst, dass bedeutsame Arbeiten wie die »Marsyas«-Gruppe aus der Hrdlicka-Schule vor Jahren in Depots abgewandert sind, wo es doch »genügend Orte in der Stadt« gäbe, wo sie »in aller Widerständigkeit einen Kommentar abgeben könnten«. Hierin liegen die Stärken des Buches, dessen Qualität unterstrichen wird durch die außerordentlichen Fotografien Wolfgang Janzers. Leider hält nicht jeder Text das Niveau, wenn man sich etwa Zimmerles »Wilhelm II.« mit pennälerhafter Erlebnisprosa »im Zwielicht der Nacht« nähern soll. Ob eine Straffung der Texte mehr Einzelbetrachtungen ermöglicht und damit die Chance für ein wirkliches Handbuch vergrößert hätten, sei angesichts der redaktionellen Entscheidung für ein solide recherchiertes, bebildertes Lesebuch dahingestellt.

Skulpturen des 20. Jahrhunderts in Stuttgart
Hrsg. von Bärbel Küster. Fotos von Wolfram Janzer. Heidelberg: Kehrer, 2006. 240 Seiten. ISBN 978-3-936636-84-0. 24,80 Euro. Stuttgarter Skulpturen, fotografiert von Wolfram Janzer, sind auch zu sehen im Treffpunkt Rotebühlplatz, Stuttgart, bis 15. April 2007

Zeichen setzen
Piktogramme - Die Einsamkeit der Zeichen



Die Welt ist längst zum Leitsystem geworden. Wo immer man geht oder steht, die Zeichen sind schon da, bevor die Sprache das Ziel formulieren kann. Ob man in China dem Signet amerikanischer Fastfoodketten folgt, in Afrika ausrangierten Straßenschildern aus Deutschland begegnet oder sonstwo nach dem stillen Örtchen sucht, überall helfen uns die visuellen, wenn auch stummen Diener weiter. Für eine Ausstellung wäre diese Erkenntnis ein alter Hut, gäbe es da nicht den Untertitel, der dem großen Metaphysiker unter den Malern, Giorgio de Chirico, entlehnt ist und ordentlich Verwirrung in die nüchterne Welt der Piktogramme bringt. Denn dieser Anflug von Melancholie signalisiert, dass es eine Welt jenseits eindeutiger Zeichen geben muss, die in ihrer Offenheit noch Chiffren und symbolische Formen als die geheimnisvollen und mehrdeutigen Schwestern jener Zeichen parat hat. Die Frage, was passiert, wenn Mathematiker sich der Sprache, sprich: der Kommunikation annehmen, war gestern – heute steht das Spiel im Raum, was geschieht, wenn die Künstler sich die Zeichen unsrer durchsystematisierten Welt auf geflügelten Pferden wieder ins trunkene Schiff der Phantasie zurückholen.

Das Kunstmuseum Stuttgart hat sich ein weites Feld abgesteckt, um dem Wechselspiel von angewandter und freier Kunst auf die Spur zu kommen, die als Hinter- oder Untergrundlinie immerhin von der Höhlenzeichnung bis zur Computergrafik führt. Dabei ist der Betrachter immer auf Achse, der Verweischarakter der Zeichen ist auf Bewegung aus, wofür Martha Roslers in eine Topfpflanze geschnittenes Schattenbild eines Langstreckenbombers steht, das auch den Katalogumschlag ziert. Die Stationen der mit 350 Exponaten bestückten und über fünf Jahre entwickelten Schau heißen »Zeichen zwischen Lesbarkeit und Hermetik«, »Zeichen zwischen Universal- und Geheimsprache«, »Das Zeichen als Zitat«, »Zwischen Angewandtem und Kunst«, »Zeichen und Logos an der Schnittstelle von Alltag und Kunst« und »Die Welt als Zeichen«. Das klingt nach schweißtreibender Denkakrobatik, offenbart jedoch auch eine Leichtigkeit des Seins, angesichts des revolutionären Buchstabenaufstands von El Lissitzky oder der Signalmännchen von Otl Aicher oder der Wiedergeburten des Dürer-Hasen als Gummibandsilhouette, Holzsägearbeit oder als Hasenmist-Stroh-Ballung. Wie elegant sich sogar das von den Nazis zweckentfremdete Hakenkreuzzeichen in Schwung bringen lässt, ist durchaus beeindruckend.

Während die Ausstellung betont und doch erfrischend improvisiert daher kommt – erneut hat die Museumschefin Marion Ackermann den Innenarchitekten Ulrich Zickler für die Präsentation der Schau gewonnen – , übernimmt der schwergewichtige Katalog die (Dauer-)Rolle für die Zeit danach. Für die grafische Gestaltung zeichnet wie schon beim Max-Bill-Katalog das Stuttgarter Büro L2M3 mit Sascha Lobe und dem Schriftdesigner Dirk Wachowiak verantwortlich, dessen Referenzliste vom neuen Mercedes-Benz-Museum bis zum Pforzheimer Schmuckmuseum reicht. Dieser Wälzer hat das Zeug zum schönsten Buch des Jahres, macht doch das Zusammenspiel von Text, Bildplatzierung und dem wohlinszenierten Farbleitsystem der Schrift, gesetzt in der hart auftretenden, geometrisch aufgebauten Futura, so viel Laune, dass man fast zum bloßen Schauen verführt wird – wären da nicht auch noch die grandiosen Künstlertexte u.a. von Rodtschenko, Majakowski und Penck, Roth über Herold und Beuys bis zu Aicher und Mullican. Und wie sich beim zügigen Blättern der Randspaltentitel »piktogramme« verflüchtigt, so wächst der Gehalt über das Thema weit hinaus. (gb)

Piktogramme - die Einsamkeit der Zeichen

Hrsg. von Marion Ackermann. Deutscher Kunstverlag München/Berlin 2006, ISBN 978-3-422-06674-8, 28,00 Euro